Das Ebbe-Flut-System zählt zu den beliebtesten Hydroponik-Methoden im Cannabisanbau. Es vereint eine vergleichsweise einfache Technik mit hoher Effizienz und eignet sich sowohl für kleine Homegrows als auch für größere Flächenproduktionen in Cannabis Club. Statt permanent im Wasser zu stehen oder in Sprühnebel gehüllt zu werden, erleben die Pflanzen hier einen Wechsel zwischen „Flut“ und „Ebbe“. In regelmäßigen Intervallen wird das Wurzelumfeld mit Nährlösung überflutet und anschließend wieder entleert – so können die Pflanzen sowohl Wasser und Nährstoffe aufnehmen als auch frische Luft an die Wurzeln lassen.

Der große Unterschied zu Systemen wie Deep Water Culture (DWC) oder Nutrient Film Technique (NFT) liegt in der Stabilität: Ebbe-Flut gilt als vergleichsweise fehlertolerant. Wo bei DWC ein Pumpenausfall innerhalb weniger Stunden kritisch werden kann, puffert das Substrat im Ebbe-Flut-System Feuchtigkeit und Sauerstoff eine gewisse Zeit. Gleichzeitig ist es technisch einfacher als Aeroponik, da keine Hochdruckpumpen oder Mikro-Düsen nötig sind.

Diese Mischung aus Robustheit und Effizienz macht Ebbe-Flut besonders vielseitig:

  • Homegrower:innen können bereits mit einem kleinen Tablettsystem für 1–3 Pflanzen experimentieren (gesetzlich zulässige Grenze in Deutschland).
  • Fortgeschrittene profitieren von der guten Steuerbarkeit von Nährstoffen und Zyklen.
  • Cannabis Social Clubs (CSCs) setzen Ebbe-Flut gerne im größeren Maßstab ein, da es robust, leicht zu warten und gleichzeitig produktiv ist.
Aufbau eine Ebbe-Flut-Systems: Wassertank, Pumpe unten und darüber der Fluttisch mit den Pflanzen.

Grundlagen des Ebbe-Flut-Systems

Prinzip

Beim Ebbe-Flut-System (auch Flood & Drain genannt) stehen die Pflanzen in Töpfen, Netztöpfen oder Steinwollwürfeln auf einem Anzucht-Tablett (Tray). In festgelegten Intervallen pumpt eine Wasserpumpe Nährlösung aus einem Reservoir in das Tray – die Wurzeln werden für kurze Zeit vollständig überflutet. Anschließend läuft die Lösung über einen Ablauf zurück ins Reservoir.

So wechseln die Pflanzen regelmäßig zwischen zwei Zuständen:

  • Flut → volle Versorgung mit Wasser und Nährstoffen.
  • Ebbe → Abfluss sorgt für frische Sauerstoffzufuhr an die Wurzeln.

Dieser Wechsel imitiert natürliche Prozesse (Regen/Trockenheit) und fördert ein gesundes, kräftiges Wurzelwachstum.

Zyklus: Ebbe & Flut

  • Flut-Phase: Je nach Setup und Substrat wird das Tray für 5–15 Minuten gefüllt. Die Wurzeln nehmen dabei Nährstoffe und Wasser auf.
  • Ebbe-Phase: Wenn die Lösung abfließt, werden die Wurzeln mit Sauerstoff versorgt. Zwischen zwei Flutungen bleibt das Substrat leicht feucht, aber nicht staunass.

Die Häufigkeit der Zyklen hängt von Substrat, Pflanzenstadium und Klima ab. Typisch sind 3–6 Flutungen pro Tag – in warmen Umgebungen oder bei kleinen Substratvolumina auch öfter.

Komponenten

Ein funktionierendes Ebbe-Flut-System besteht aus wenigen Kernteilen:

  • Tray (Fluttisch): Darin stehen die Pflanzen. Muss stabil und leicht zu reinigen sein.
  • Reservoir: Tank für die Nährlösung, meist unter dem Tray positioniert.
  • Pumpe: Fördert die Lösung aus dem Reservoir ins Tray.
  • Timer/Controller: Steuert die Intervalle für Flut und Abfluss.
  • Zu- & Ablauf: Rohre oder Anschlüsse für den Wasserfluss.
  • Substrat: Typisch sind Blähton, Steinwolle oder Kokos – alle speichern Wasser, lassen aber Luft an die Wurzeln.

Optional: Filter, EC/pH-Sensoren oder Rückschlagventile für höhere Betriebssicherheit.

Unterschiede zu NFT & DWC

  • NFT (Nutrient Film Technique): Hier fließt ständig ein dünner Nährstofffilm über die Wurzeln. Vorteil: konstante Versorgung. Nachteil: kaum Puffer – Pumpenausfall wirkt sofort.
  • DWC (Deep Water Culture): Wurzeln hängen permanent in Nährlösung mit starker Belüftung. Extrem schnelles Wachstum, aber sehr fehleranfällig bei Strom- oder Pumpenausfall.
  • Ebbe-Flut: Periodisches Fluten + Entleeren, dadurch robuster und einfacher. Substrat puffert Feuchtigkeit, sodass die Cannabispflanze kurze Störungen besser übersteht.

Vorteile und Nachteile im Überblick

Vorteile

  • Optimale Sauerstoffversorgung: Durch den Wechsel von Fluten (Nährstoffaufnahme) und Ebbe (Abfluss → Sauerstoffeintrag) entsteht ein gesundes Wurzelmilieu.
  • Robustheit: Selbst wenn die Pumpe einmal für einige Stunden ausfällt, können die Pflanzen über das Substrat noch auf gespeicherte Feuchtigkeit zurückgreifen – ein klarer Vorteil gegenüber NFT oder DWC.
  • Einfache Skalierung: Ob 3 Pflanzen im Grow eine Hobbygärtners oder dutzende Stecklinge auf einem großen Tisch – ein einziges Tray kann viele Pflanzen gleichzeitig versorgen.
  • Substrat-Flexibilität: Besonders gut funktioniert das System mit Blähton, Kokos oder Steinwolle – je nach gewünschter Wasserspeicherung und Steuerung.
  • Wasser- und Nährstoffeffizienz: Da die Lösung im Reservoir recycelt wird, ist der Verbrauch deutlich geringer als bei klassischem Drain-to-Waste.

Nachteile

  • Technische Abhängigkeit: Auch wenn es stabiler ist als andere Hydro-Systeme, sind Pumpe und Timer Defekte können die Flutzyklen unterbrechen.
  • Salzablagerungen: Besonders bei mineralischer Düngung sammeln sich mit der Zeit Salze im Substrat. Das macht ein regelmäßiges Spülen (Flushen)
  • Weniger High-Tech: Im Vergleich zu Aeroponik oder präzisen Tropfsystemen ist Ebbe-Flut „grobmotorischer“. Die Steuerung ist weniger fein, dafür fehlertoleranter.
  • Reinigung: Algen und Biofilm können sich in Trays oder Leitungen bilden, wenn das System nicht lichtdicht und sauber gehalten wird.

Für wen geeignet?

  • Anfänger:innen: Sehr empfehlenswert, da das Substrat Puffer bietet und Fehler besser verzeiht. Ein guter Einstieg in die Hydroponik.
  • Fortgeschrittene: Interessant für alle, die mit Düngersteuerung, Zykluslängen oder Substraten experimentieren möchten.
  • Clubs (CSC): Ideal für die Flächenproduktion – robuste, bewährte Technik, weniger riskant als Aeroponik, und einfacher in GMP-Konzepte einzubinden.

Nährstoff- und Wasserparameter

Ein Ebbe-Flut-System bewegt sich bei den Sollwerten im klassischen Hydroponik-Bereich – mit kleinen Anpassungen, da Substrate wie Steinwolle, Kokos oder Blähton eine gewisse Pufferwirkung haben.

pH-Wert

  • Optimal: 5,5–6,2.
  • Unter 5,5 → Calcium/Magnesium-Blockaden möglich.
  • Über 6,2 → Eisen- und Mikronährstoffmangel wahrscheinlich.
    Tipp: Leichte Schwankungen (pH-Drift von 5,6 auf 6,1) sind sogar vorteilhaft, weil unterschiedliche Nährstoffe in unterschiedlichen Bereichen besser aufgenommen werden.

EC-Werte je Phase

Da das Substrat Restfeuchtigkeit speichert, darf die Nährlösung meist 0,1–0,2 mS/cm niedriger geführt werden als in DWC:

Richtwerte in mS/cm. Je nach Substrat, Genetik & Umgebung anpassen.
Phase EC-Wert (mS/cm) Hinweise
Keimling 0,3–0,6 Sehr schwach, oft reicht Wasser mit Wurzelstimulator.
Vegetation (früh) 0,8–1,0 Langsam steigern, Substrat puffert.
Vegetation (fortgeschr.) 1,0–1,4 Gleichmäßige Entwicklung, Stickstoffbedarf hoch.
Blüte (früh) 1,4–1,8 Phosphor/Kalium anheben.
Blüte (Peak) 1,8–2,0 Maximalphase, Pflanzen täglich beobachten.
Spülphase < 0,4 Nur Wasser oder enzymhaltige Lösung.

Wassertemperatur

  • Optimal: 18–22 °C.
  • Über 24 °C → Sauerstoffgehalt sinkt, Risiko von Algen & Wurzelfäule steigt.
  • Unter 16 °C → Aufnahme verlangsamt sich, Stoffwechsel wird träge.

Flutzyklen

Die Häufigkeit hängt stark von Substrat, Klima und Pflanzengröße ab.

  • Allgemein: 3–6× pro Tag → je 5–15 Minuten Flutzeit.
  • Steinwolle: nimmt viel Wasser auf → kürzere, aber häufigere Zyklen.
  • Blähton: speichert wenig Wasser → eher längere und häufigere Flutungen.
  • Kokos: mittlere Speicherfähigkeit → Zyklen an Klima anpassen.

Indoor oft leichter zu steuern (konstantes Klima), Outdoor muss bei Hitze oder Wind öfter geflutet werden.

Aufbau eines Ebbe-Flut-Systems

Das Ebbe-Flut-System lässt sich vom simplen Heim-Setup bis hin zur professionellen CSC-Anlage skalieren. Entscheidend sind die Dimensionierung von Tray, Reservoir und Pumpe sowie die Integration von Sensorik und Hygienekonzepten.

Hobby (1–3 Pflanzen)

  • Tray: 40×40 cm, Höhe 10–15 cm.
  • Reservoir: 10–20 L (lebensmittelechter Kunststoff, lichtdicht).
  • Pumpe: kleine Aquarien-Tauchpumpe (ca. 300–500 L/h).
  • Steuerung: einfache Zeitschaltuhr (Flutzyklen 3–6× pro Tag).
  • Substrat: Blähton (hydro-neutral, schnell abtrocknend) oder Kokos (etwas mehr Puffer).

Tipp: Ideal zum Einstieg, da es günstig, robust und fehlertolerant ist.

Clubbetrieb

  • Tray-/Tischsysteme: 1–2 m² große Fluttische für den Growroom, modulweise erweiterbar (20–100 Pflanzen je Modul).
  • Reservoir: zentral, 200–1000 L, lichtdicht & isoliert.
  • Pumpentechnik: leistungsstarke Umwälzpumpe mit hoher Förderleistung + Redundanz (Backup-Pumpe).
  • Dosierpumpen: automatische Zufuhr von Dünger, pH-Down/Up → konstante Werte.
  • Sensorik: pH, EC, Füllstand, Temperatur, mit Cloud-Logging und Alarmmeldungen.
  • Hygienekonzept: CIP-Systeme („Cleaning in Place“) für Reinigung/Desinfektion ohne manuelles Zerlegen.

Vorteil: Sehr effizient und robust im Dauerbetrieb. Weniger fehleranfällig als Aeroponik, dafür weniger präzise steuerbar.

Schritt-für-Schritt-Anbauanleitung im Ebbe-Flut-System

Das Ebbe-Flut-System lebt von klar definierten Zyklen und sauberer Technik. Hier die wichtigsten Schritte für eine erfolgreiche Kultur:

1. Vorbereitung

  • Reservoir gründlich reinigen (z. B. mit H₂O₂ oder Peressigsäure), um Biofilm und Keime zu vermeiden.
  • Frisch befüllen mit Wasser (idealerweise gefiltert oder RO-Wasser bei hartem Leitungswasser).
  • Nährlösung ansetzen: Dünger (Hydro-A/B) nach Herstellerangaben zugeben, gut verrühren.
  • Parameter einstellen:
    • pH: 5,5–6,2
    • EC: je nach Pflanzenphase (siehe unten).
  • Testlauf: Pumpe und Ablauf für 10–15 Minuten laufen lassen, um Leckagen und Flut-/Abflusszeiten zu prüfen.

2. Einsetzen der Pflanzen

  • Substratwahl: Netztöpfe mit Blähton (vorgewaschen & pH-stabilisiert), Steinwolleblöcken oder Kokos.
  • Pflanzen in die Netztöpfe setzen, Wurzelbereich soll direkten Kontakt zum Substrat haben.
  • Töpfe in das Tray stellen, sodass sie beim Fluten 2–3 cm tief im Wasser stehen.

3. Flutzyklen einstellen

  • Frequenz: 3–6× pro Tag (abhängig von Substrat & Klima).
    • Steinwolle: häufiger (speichert mehr Wasser, aber trocknet schnell aus).
    • Blähton: speichert wenig → öfter fluten.
  • Dauer: 10–15 Minuten pro Zyklus, bis Tray ca. 2/3 hoch gefüllt ist.
  • Danach komplett ablaufen lassen („Ebbe“).

4. Wachstumsphase (Vegetation)

  • EC langsam steigern: von 0,8 bis ca. 1,6 mS/cm.
  • pH täglich kontrollieren: er sollte im Bereich 5,5–6,2 bleiben.
  • Wasserwechsel: alle 7–10 Tage, um Nährstoffungleichgewichte zu vermeiden.

5. Blütephase

  • EC erhöhen: 1,6–2,0 mS/cm, abhängig von Sorte und Genetik.
  • Flutzyklen ggf. anpassen: größerer Verbrauch → häufiger fluten oder Reservoirvolumen erhöhen.
  • Temperatur: Reservoir konstant bei 18–22 °C halten.

6. Spülphase

  • Letzte 7–14 Tage nur noch klares Wasser ins Reservoir geben.
  • EC absenken: unter 0,4 mS/cm, bis die Pflanze Nährstoffreserven abbaut.
  • Ziel: saubererer Geschmack & Verbrennung der Blüten.

7. Reinigung nach der Ernte

  • Reservoir entleeren und spülen.
  • System desinfizieren: H₂O₂ oder Peressigsäure durch Pumpe, Leitungen und Tray laufen lassen.
  • Substratreste entsorgen oder (bei Blähton) gründlich waschen und sterilisieren.
  • Lufttrocknung: Alle Teile vor dem nächsten Run gut austrocknen lassen.

Integration in Anbauvereinigungen

Ein Ebbe-Flut-System lässt sich von kleinen Growzelten bis hin zu großen CSC-Anlagen skalieren. Für den professionellen Einsatz gelten zusätzliche Anforderungen an Automatisierung, Ausfallsicherheit und Hygiene beim Grow, die über die Hobbygärtnerei hinausgehen.

Automatisierung

  • Sensorik & Steuerung: EC-, pH-, Temperatur- und Füllstandssensoren erfassen permanent die relevanten Werte.
  • Software/Cloud-Anbindung: Werte können per Dashboard überwacht werden; automatische Alarmmeldungen bei Abweichungen.
  • Pumpensteuerung: Zykluszeiten (Flut/Ebbe) werden über Controller oder Klimacomputer hinterlegt und können zentral angepasst werden.
  • Datenlogging: Speicherung aller Parameter für Rückverfolgbarkeit und Optimierung.

Redundanz (Ausfallsicherheit)

  • Doppelte Pumpen: Jede Förderpumpe sollte ein Backup haben, um im Falle eines Defekts oder Stromausfalls sofort umschalten zu können.
  • Notstromversorgung: Eine USV (unterbrechungsfreie Stromversorgung) sichert kurze Ausfälle ab; für lange Unterbrechungen empfiehlt sich ein Notstromaggregat.
  • Mehrere Module: Anstatt ein großes Tray zu versorgen, können mehrere kleinere Systeme betrieben werden → verringert das Risiko bei Ausfall oder Kontamination.

Hygiene & GMP-Aspekte

  • Reinigungs- und Desinfektionspläne: Jeder Zyklus endet mit einer dokumentierten Reinigung (Reservoir, Leitungen, Tray).
  • Validierung: Nachweise, dass Reinigungs- und Produktionsprozesse reproduzierbar funktionieren.
  • CIP-Systeme (Cleaning in Place): ermöglichen Reinigung ohne komplettes Zerlegen – besonders für Clubs effizient.
  • Dokumentation: Jeder Wasserwechsel, jede pH-Korrektur und jede Desinfektion wird im Audit Trail vermerkt.