Cannabis als Medizin ist inzwischen für viele Patienten in Deutschland zugänglich. Mit dieser gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung sind in den letzten Jahren die Unterschiede zwischen der medizinischen und der freizeitbezogenen Nutzung der Pflanze immer mehr Konsumierenden bewusst geworden. Während beide Anwendungsbereiche auf denselben Grundstoff zurückgreifen, variieren Zielsetzungen, gesetzliche Rahmenbedingungen und Qualitätsanforderungen erheblich. Als Anbieter von Softwarelösungen für den Cannabisanbau, die beide Anwendungsbereiche abdecken, werfen wir einen detaillierten Blick darauf, wie unterschiedlich Cannabis im medizinischen und im Freizeitkontext verwendet wird.
Ziele der Anwendung von Cannabis
Cannabis ist eine vielseitige Pflanze, die je nach Anwendung unterschiedliche Ziele verfolgt. Im medizinischen Bereich steht die gezielte Linderung spezifischer Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten im Vordergrund. Dabei werden Cannabinoide wie THC, CBD oder auch weniger bekannte Verbindungen wie THCV und CBDV präzise auf die jeweiligen therapeutischen Anforderungen abgestimmt. Die Anwendungen reichen von der Behandlung neurologischer Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson über die Schmerztherapie bis hin zur Palliativmedizin. Dank kontinuierlicher Forschung wird das Potenzial der Pflanze stetig erweitert, etwa im Bereich psychiatrischer oder entzündlicher Erkrankungen.
Eine aktuelle Studie von Prof. Elon Eisenberg vom Rambam Medical Center in Haifa (Israel) verdeutlicht, dass Cannabinoide wie THC und CBD bei neuropathischen Schmerzen eine mögliche Behandlungsoption darstellen, wenn herkömmliche Therapieansätze versagen. In einer randomisierten Studie mit zentralen neuropathischen Schmerzen (z. B. bei Multipler Sklerose) konnte die Schmerzintensität unter Cannabinoidtherapie reduziert werden, wenn auch die Effektstärke moderat war. Besonders hervorzuheben sind die positiven Effekte auf Schlafstörungen, Angst, Depressivität und Lebensqualität, die häufig Begleitsymptome chronischer Schmerzen sind. Die Studie weist jedoch auf einen ausgeprägten Placeboeffekt hin, der teilweise durch hohe Erwartungen an die Therapie erklärt werden könnte. Dennoch bleibt ein Behandlungsversuch bei Patienten, die auf herkömmliche Therapien nicht ansprechen, gerechtfertigt.1
Im Gegensatz dazu liegt der Fokus beim Freizeitkonsum von Cannabis auf Entspannung, Genuss und sozialen Erlebnissen. Hier stehen die psychoaktiven Effekte, insbesondere durch Tetrahydrocannabinol (THC), im Vordergrund. Anders als im medizinischen Kontext ist eine exakte Dosierung oder eine gezielte Abstimmung der Wirkstoffe weniger relevant. Der Konsum erfolgt in vielen Fällen spontan und dient der persönlichen oder gemeinschaftlichen Bereicherung.
Qualität und Produktionsanforderungen
Sowohl der Anbau von Medizinalcannabis als auch dessen Verschreibung unterliegt strengen Regularien. Jeder Schritt, von der Auswahl der Genetik und Vermehrung der Pflanzen bis zur Verpackung des fertigen Medikaments und Versand an den jeweiligen Patienten, muss dokumentiert und überprüfbar sein. Standards wie GMP (Good Manufacturing Practice) und GACP (Good Agricultural and Collection Practice) sichern eine gleichbleibend hohe Qualität. Dies ist entscheidend, da Patienten auf präzise Dosierungen und standardisierte Wirkstoffprofile angewiesen sind.
Regulierungsrahmen
Mit der Teillegalisierung des Freizeitkonsums in Deutschland seit April 2024 haben Erwachsene das Recht, Cannabis für den Eigenbedarf am eigenen Wohnsitz oder gemeinschaftlich in Anbauvereinigungen anzubauen. Hier gelten gesetzliche Regelungen, die den Zugang erleichtern sollen, aber keine medizinische Überwachung voraussetzen.
Etwas strenger ist die medizinische Verwendung von Cannabis reguliert. In Deutschland ermöglicht das Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) seit 2017 den legalen Einsatz von Cannabisarzneimitteln, die ärztlich verschrieben und überwacht werden. Wobei Patienten im Idealfall von einer Kostenerstattung durch die Krankenkassen profitieren, wenn folgende Voraussetzungen gemäß § 31 Abs. 6 SGB V erfüllt sind:
- Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung.
- Keine verfügbaren oder anwendbaren medizinisch anerkannten Alternativtherapien.
- Realistische Aussicht auf eine spürbare Verbesserung der Symptome oder des Krankheitsverlaufs.
Laut der Cannabis-Begleiterhebung des BfArM (2017–2020) waren die häufigsten Verschreibungen von Medizinalcannabis Dronabinol (65 %), Cannabisblüten (18 %) und Sativex® (13 %). Die Hauptindikationen waren Schmerzen (73 %), Spastik (10 %) und Anorexie/Wasting (6 %), was die gezielte Anwendung von Cannabisarzneimitteln unter ärztlicher Aufsicht verdeutlicht.2
Aktuelle Erkenntnisse zur Produktqualität von Medizinalcannabis stammen aus einem Beitrag von Dr. Christoph Wendelmuth, Schmerztherapeut aus Potsdam: Dr. Wendelmuth betont, dass sowohl der Gehalt an Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) als auch deren Verhältnis entscheidend für die therapeutische Wirkung sind. Während THC vor allem psychoaktive, muskelentspannende und schlaffördernde Eigenschaften besitzt, zeigt CBD entzündungshemmende, angstlösende und neuroprotektive Effekte. Darüber hinaus enthalten Cannabispflanzen mehr als 100 Terpene, die ergänzende therapeutische Wirkungen entfalten können. So können Terpene beispielsweise sedierend, stimmungsaufhellend oder entzündungshemmend wirken.3
Wendelmuth verweist zudem auf eine retrospektive Registerstudie zur ambulanten Schmerz- und Palliativbehandlung älterer Patienten, wonach der Einsatz von medizinischem Cannabis nicht nur die Schmerzintensität reduziert, sondern auch den Opioidbedarf senkt.4
Wirkung von Cannabis
Einen besonderen Meilenstein in der Wissenschaft markierte die Entdeckung der psychoaktiven Hauptkomponente von Cannabis – Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) – durch Raphael Mechoulam und Yechiel Gaoni im Jahr 1964. THC wurde als Hauptwirkstoff identifiziert, der die typischen Effekte wie das „High“ vermittelt. Diese Erkenntnis führte zur Entdeckung des körpereigenen Endocannabinoid-Systems, das aus Cannabinoidrezeptoren (CB1 und CB2) und körpereigenen Cannabinoiden besteht. Dieses Signalsystem hilft, die komplexen und dosisabhängigen Wirkungen von THC zu verstehen und eröffnet neue Wege für therapeutische Anwendungen.5
In der Therapie werden Cannabinoide wie THC, CBD sowie weniger bekannte Verbindungen wie THCV und CBDV gezielt für medizinische Zwecke eingesetzt, wobei auch die Wechselwirkungen mit den Terpenen der Pflanze berücksichtigt werden, um eine optimale Wirkung zu erzielen. Beim Freizeitkonsum dominiert hingegen oft THC als Hauptwirkstoff für die gewünschte psychoaktive Wirkung. Die Unterschiede liegen dabei nicht nur in der Zielsetzung, sondern auch in der Präzision der Zusammensetzung und der Wirkung der einzelnen Cannabinoide sowie Terpene und Flavonoide.
In einer Studie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Hebrew University in Israel von Bilkei-Gorzo et al. (2024) wurde beobachtet, dass eine langfristige, niedrig dosierte Gabe von Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), dem psychoaktiven Wirkstoff von Cannabis, positive Effekte auf das Altern des Gehirns haben kann. In Versuchen mit älteren Mäusen führte die Behandlung zu einer vorübergehenden Aktivierung des mTOR-Signalwegs, wodurch die Bildung neuer Synapsen und die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert wurden. Gleichzeitig reduzierte sich die Stoffwechselaktivität in peripherem Fettgewebe, was ebenfalls zu anti-aging Effekten beiträgt. Die Verantwortlichen der Studie weisen darauf hin, dass die duale Wirkung von THC – Förderung der Synapsenbildung und Senkung der Energieausgaben – eine potenzielle Grundlage für zukünftige Therapien zur Verlangsamung des Gehirnalterungsprozesses darstellen könnte.6
Die Leitlinie “Medizinischer Cannabis und Cannabinoide” beschreibt die Unterschiede zwischen inhalativer und oraler Anwendung von Cannabis umfassend. Sie betont, dass die Inhalation (z. B. mittels Vaporisator) zu einem schnellen Wirkungseintritt führt, wobei der maximale Effekt innerhalb von 15 Minuten erreicht wird. Im Gegensatz dazu bietet die orale Einnahme durch eine verzögerte Freisetzung eine längere Wirkungsdauer, wodurch die psychoaktiven Effekte abgeschwächt und die Anwendung therapeutisch optimiert wird.7
Einnahmeformen
Freizeitkonsumierende bevorzugen in der Regel die Inhalation durch Rauchen oder Vaporisieren. Diese Methode ermöglicht eine schnelle Aufnahme des Wirkstoffs THC in den Körper und führt zu einem unmittelbaren Effekt. Die Dosierung kann dabei flexibel angepasst werden, um den gewünschten Rausch zu kontrollieren.
Patienten greifen neben dem Vaporisieren häufig auf orale cannabisbasierte Medikamente wie Dronabinol oder Cannabisextrakte zurück. Diese haben den Vorteil einer länger anhaltenden, aber eher subtil spürbaren Wirkung. Durch die langsame Freisetzung und der in den Hintergrund tretenden euphorisierende Wirkkomponente sie sind diese Medikamente optimal für therapeutische Anwendungen.
Psychische Effekte
Unter den Freizeitkonsumenten sind die psychischen Effekte des Cannabisgebrauchs, wie Entspannung, Kreativitätsförderung oder Euphorie das Hauptziel des Konsums.
Hinsichtlich des medizinischen Nutzens ist die Bewertung der psychischen Effekte hier komplexer. Während sedierende Wirkungen bei Schlafstörungen erwünscht sein können, gelten sie in anderen Kontexten als störend. In der Palliativmedizin könnten stärkere sedierende oder angstlösende Effekte jedoch positiv genutzt werden, etwa bei stark unruhigen Patienten.
Ärztliche Überwachung
Ein entscheidender Unterschied liegt in der Überwachung und Optimierung der Konsummuster.
Innerhalb des Freizeitkonsums erfolgt eigenverantwortlich, oft ohne Rücksicht auf Dosierung oder mögliche Nebenwirkungen. Wohingegen beim medizinischen Gebrauch von Cannabis der Patient ärztlich begleitet wird, um Risiken zu minimieren und die optimale Dosis für die jeweilige Indikation zu finden. Dies ist besonders wichtig, da unerwünschte Wirkungen individuell unterschiedlich ausfallen können.
Risikobewertung und gesellschaftliche Wahrnehmung
Laut dem Epidemiologischen Suchtsurvey (ESA) 2021 haben etwa 34,7 % der erwachsenen Deutschen im Alter von 18 bis 64 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. In den letzten 12 Monaten vor der Befragung gaben 8,8 % der Erwachsenen an, Cannabis konsumiert zu haben, was rund 4,5 Millionen Menschen entspricht. Innerhalb der letzten 30 Tage vor der Erhebung lag der Anteil bei 4,3 %. Diese Daten zeigen eine deutliche Verbreitung des Cannabiskonsums innerhalb eines weiten Teils der Gesellschaft.
Inzwischen wird die medizinische Nutzung zunehmend als erprobte und wirksame Therapieform anerkannt. Studien belegen die positiven Effekte bei vielen chronischen Erkrankungen. Gleichzeitig werden Risiken, wie etwa eine mögliche psychotrope Wirkung von THC, durch ärztliche Überwachung minimiert.
Freizeitkonsumierende werden von der Gesellschaft derzeit unterschiedlich wahrgenommen. Während viele die Teillegalisierung von Cannabis begrüßen, halten sich bei anderen hartnäckig Vorurteile gegenüber dieser Gruppe von Anhängern der Cannabispflanze. Eine bewusste und aufgeklärte Nutzung ist daher essenziell, um bei den Menschen weitreichend Zustimmung für Cannabis als Genussmittel und Medizin gleichermaßen zu erlangen.
Schlusswort
Cannabis als Medizin unterliegt strengen Auflagen und wird gezielt zur Linderung von Beschwerden eingesetzt. Wohingegen der Freizeitkonsum vor allem auf Genuss und Entspannung ausgerichtet ist. Beide Anwendungsbereiche profitieren von der erreichten Teillegalisierung und wissenschaftlichen Erforschung, doch sie unterscheiden sich grundlegend in Zielsetzung, Qualitätsanforderungen des Konsumenten und Regularien. Entwicklungen in Deutschland und dem Ausland zeigen, dass eine differenzierte Betrachtung und Nutzung von Cannabis möglich sind. Mit diesem Ansatz können sowohl die medizinischen Potenziale ausgeschöpft als auch der verantwortungsvolle Freizeitkonsum gefördert werden.
Quellen:
- Eisenberg, E., & Hansen, J. (2023). Cannabinoide bei neuropathischen Schmerzen: Mehr als ein Placebo? Schmerzmedizin, 39(5), 9.
- Schmidt-Wolf, G., & Cremer-Schaeffer, P. (2021). 3 Jahre Cannabis als Medizin – Zwischenergebnisse der Cannabisbegleiterhebung. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 64(3), 368–377. DOI: 10.1007/s00103-021-03285-1, S. 368–370.
- Wendelmuth, C. (2024). Medizinalcannabis: Große Bandbreite an Produkten erfordert rationales Vorgehen. Schmerzmedizin, 40(2), 64.
- Wendelmuth, C., et al. (2019). Reduktion von Schmerzintensität und Opioidbedarf durch medizinisches Cannabis. Schmerz, 33(4), 384–391.
- Pertwee, R. G., Howlett, A. C., Abood, M. E., Alexander, S. P. H., Di Marzo, V., Elphick, M. R., Greasley, P. J., Hansen, H. S., Kunos, G., Mackie, K., Mechoulam, R., & Ross, R. A. (2010). International Union of Basic and Clinical Pharmacology. LXXIX. Cannabinoid Receptors and Their Ligands: Beyond CB1 and CB2. Pharmacological Reviews, 62(4), 588–631. Seite 591. DOI: 10.1124/pr.110.003004.
- Bilkei-Gorzo, A., Schurmann, B., Schneider, M., Kraemer, M., Nidadavolu, P., Beins, E. C., Müller, C. E., Dvir-Ginzberg, M., & Zimmer, A. (2024). Bidirectional effect of long-term Δ9-tetrahydrocannabinol treatment on mTOR activity and metabolome. ACS Pharmacology & Translational Science, 7(9), 2637–2649. doi:10.1021/acsptsci.4c00002. (S. 2637–2640)
- Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Medizinischer Cannabis und Cannabinoide: Empfehlungen der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen. Stand: Februar 2021, Seite 6.